Diversifikation und Korrelation – ein unstetes Paar

17. November 2021  |  Prof. Dr. Stefan Mittnik
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Verlustrisiken bei der Geldanlage lassen sich durch breite Streuung dämpfen. Wie gut das gelingt, hängt von den Diversifikationseigenschaften der einzelnen Anlageklassen ab. Blindlings auf gewöhnliche Korrelationsmodelle zu setzen, kann in Stressphasen an den Märkten nach hinten losgehen.

Zwei Nachrichten vorab. Die gute: Laut Pressenotiz der Bundesbank vom 14. Oktober wuchs das Geldvermögen deutscher Privathaushalte im ersten Halbjahr auf 7.325 Milliarden Euro. Neuer Rekordstand, und ein rasanter Zuwachs von 375 Milliarden Euro – das Dreifache des Anstiegs im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die schlechte Nachricht: Über 80 Prozent der Deutschen profitierten nicht von diesem außergewöhnlichen Zuwachs. Geldvermögen besteht im Wesentlichen aus Bargeld und Bankguthaben, die zusammen 39,7 Prozent ausmachen. Hinzu kommen Ansprüche gegenüber Versicherungen (34,5 Prozent), Wertpapiere (12,3 Prozent) sowie Anteile von Investmentfonds (11,5 Prozent). Es sind die beiden letzten Komponenten, die mit einem Plus von 205 Milliarden Euro einen überdurchschnittlich hohen Beitrag zum Wachstum lieferten.

Das ist aber nur eine Erklärung für das Wachstum. Das zunehmende Engagement der Deutschen an der Börse war ein weiterer Grund. 12,4 Millionen waren dabei, 2,7 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Gerade bei jungen Menschen stieg das Interesse. Sie sorgen sich nicht nur um den Klimawandel, sondern wollen auch für ihren Lebensstandard im Ruhestand sorgen. Zu den weiteren Faktoren für das gestiegene Interesse zählte gewiss auch der Corona-bedingte Anstieg an Freizeit. Mehr Börsianerinnen und Börsianer und steigende Aktienmärkte sorgen automatisch für Vermögenswachstum.

Dotcom-Krise? Jungen Menschen nur vom Hörensagen bekannt

Dass gerade junge Menschen Aktieninvestments aufgeschlossener gegenüberstehen, liegt auch daran, dass sie die Dotcom-Krise Anfang des Jahrtausends, geschweige denn frühere Börseneinbrüche allenfalls vom Hörensagen kennen und die 2008er Finanzkrise nicht mit einem eigenen Depot durchlebt haben. Sie beeindruckt viel mehr, dass die Kurse an den Weltbörsen seit der Finanzkrise mit wenigen Aussetzern schwungvoll nach oben liefen. Auch wenn sich warnende Stimmen erheben, dass angesichts steigender Inflation, einer möglichen Zinswende sowie Tendenzen zur Deglobalisierung – verbunden mit wachsendem Protektionismus und möglichen Einschränkungen im Kapitalverkehr – die Börsenrally ein Ende finden könnte: Wenn es um die Vermeidung von Altersarmut geht, führt kein Weg an Börseninvestments vorbei. Das setzt allerdings voraus, dass Anlegerinnen und Anleger die Risiken verstehen und auch verstehen damit umzugehen. Ansonsten werden die Ersparnisse der börsenängstlichen 80 Prozent weiterhin mit Girokonto und Sparbuch der Inflation hinterherhinken. Und euphorische Junginvestorinnen und Junginvestoren laufen Gefahr, sich irgendwann die Finger zu verbrennen und den Börsen wieder den Rücken zu kehren.

Diversifikation lautet hier das Zauberwort, also das geschickte Streuen der Geldanlage über verschieden Aktien und andere Anlageklassen, wie zum Beispiel Anleihen und Rohstoffe. Bereits in den 1950er Jahren rechnete der US-Ökonom Harry Markowitz vor, wie Depotrisiken mittels Diversifikation gesteuert werden können. Hierbei spielen Korrelationen die entscheidende Rolle. Sie beschreiben den tendenziellen Gleichlauf von Investments und können Werte zwischen minus eins und plus eins annehmen. Plus eins signalisiert perfekten Gleichlauf und minus eins perfekte Gegenläufigkeit, dass also das eine Investment fällt, wann immer das andere steigt.

Bei einer Korrelation von null erscheinen Kursverläufe unabhängig voneinander. Bei Werten zwischen minus und plus eins gleichen sich die Gewinne und Verluste der einzelnen Investments teilweise aus. Und zwar umso mehr, je niedriger die Korrelation. Denn je geringer der Gleichlauf, desto stärker werden Depotschwankungen gedämpft. Risiko ergibt sich durch die Schwankungsanfälligkeit, die typischerweise gemessen wird anhand der Volatilität – der annualisierten Standardabweichung statistisch ausgedrückt. Risikominderung durch Diversifikation funktioniert also am besten, wenn sich Investments überwiegend gegenläufig (negative Korrelation) oder sich nur schwach gleichläufig verhalten (schwach positive Korrelation).

Gold im Depot: Weniger Verlustrisiko als bei reiner Aktienanlage

Die praktische Bedeutung der Diversifikation veranschaulicht ein Blick auf die Entwicklung von europäischen und US-amerikanischen Aktieninvestments, repräsentiert durch die Aktienindizes MSCI Europe und MSCI USA. Tägliche Kursdaten der vergangenen 20 Jahre ergeben eine Korrelation von 0,57 – ein Wert, der ein gewisses Diversifikationspotenzial signalisiert. Die Volatilität der Indizes lag bei 21,0 beziehungsweise 19,1 Prozent. Hätte man stets zur Hälfte in die Indizes investiert, reduzierte dies die Volatilität auf 17,9 Prozent. Ein Risikoniveau, das unterhalb dessen der beiden Einzelinvestments lag.

Wesentlich effektiver wäre die zusätzliche Beimischung eines Goldinvestments gewesen, da es schwach negativ mit den beiden Aktieninvestments korrelierte (jeweils minus 0,1). Ein Portfolio, das zu je einem Drittel in den MSCI Europe, den MSCI USA und in Gold investierte, produzierte eine Volatilität von lediglich 12,7 Prozent. Auch der Maximum Drawdown (der Maximalverlust, der bei ungünstigsten Ein- und Ausstiegszeitpunkten erlitten würde) wurde dadurch deutlich abgefedert. Das reine Aktienportfolio verlor in der Spitze 58 Prozent. Mit Goldbeimischung waren es moderatere 36 Prozent. Und das, ohne dass die Rendite darunter leiden musste. Nicht umsonst bezeichnete Harry Markowitz Diversifikation als „the only free lunch in investing” – das Einzige, was es beim Anlegen umsonst gibt.

Nicht nur eine Goldbeimischung hätte die Verlustrisiken gedämpft. Auch andere Anlageklassen korrelierten schwach oder negativ mit Aktienkursen. Über den Zeitraum der letzten 20 Jahre lag zum Beispiel die Korrelation zwischen dem MSCI Europe und US-Unternehmensanleihen (iBoxx USD Corporate Bonds) bei minus 0,04 und im Fall von US-Staatsanleihen (iBoxx USD Treasuries) gar bei minus 0,37.

Free Lunch durch Diversifikation nicht immer bekömmlich

Die Erfahrung in den vergangenen Börseneinbrüchen zeigt allerdings auch, dass ein „free lunch” nicht immer bekommt. Blindlings auf gewöhnliche Korrelationsschätzungen zu setzen, kann sauer aufstoßen. Denn: Korrelationen sind keine feste Größen. Sie ändern sich im Zeitablauf, zum Teil sprunghaft. Die Werte werden in der Regel anhand vergangener Daten ermittelt. Für den Anlageerfolg sind aber nicht historische Durchschnittswerte, sondern Korrelationsbeziehungen in der Zukunft entscheidend.

Berechnet man die Größen nicht über den gesamten Zeitraum von 20 Jahren, sondern rollierend über kürzere Zeitintervalle, zeigt sich ihr unstetiges Verhalten. Bei einem Schätzfenster von sechs Monaten schwanken die geschätzten Werte für die beiden Aktienindizes zwischen plus 0,17 und plus 0,81 und die zwischen Gold und den beiden Indizes zwischen minus 0,55 und plus 0,47 (siehe Grafik). Die Korrelationen von Finanzanlagen und somit ihre Diversifikationseigenschaften sind also keineswegs stabil. Eine Erklärung dafür ist das simplistische Konzept, mit dem die Korrelation die Abhängigkeiten zwischen zwei Variablen misst. Sie zeigt lediglich, wie gut der Zusammenhang zwischen zwei Variablen durch eine lineare (sprich: proportionale) Beziehung abgebildet werden kann. Weder in der Natur und noch viel weniger in der emotions- und stressgeplagten Finanzwelt ist von linearen Beziehungen auszugehen. Zeitliche Schwankungen in Korrelationsschätzungen müssen daher nicht von fortwährenden Änderungen in (linearen) Beziehungsstrukturen begründet sein. Stabile, allerdings nichtlineare Abhängigkeitsstrukturen können die Ursache sein.

Korrelationen sind keineswegs stabil

Kursverläufe von europäischen und US-amerikanischen Aktien sowie Gold (obere Grafik, standardisiert und logarithmisch skaliert) und der zeitliche Verlauf der rollierend geschätzten Korrelationen (untere Grafik, geglättet) von Juli 2002 bis Mitte Oktober 2021

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Asset Blog Korrelationsläufe
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen

Besonders in Stressphasen zeigt sich immer wieder, dass mittels Korrelationsanalyse vermeintlich gut diversifizierte Portfolios unerwartet hohe Einbrüche erleiden können. Diversifikationsversagen lautet das Stichwort. Das Problem hat auch die akademische Forschung erkannt. Eine Reihe von alternativen Strategien zur Bestimmung nichtlinearer Abhängigkeitsstrukturen wurde dazu vorgeschlagen. Ein vielversprechender Ansatz besteht in der Berechnung sogenannter Stresskorrelationen. Hier wird versucht, Korrelationsstrukturen in Abhängigkeit der Stresslagen zu berechnen, die in extremen Bärenmärkten mit stark fallenden Kursen (negativer Stress) oder auch Bullenmärkten mit steigenden Kursen (positiver Stress) auftreten. Wendet man ein derartiges Verfahren auf die hier betrachteten Investments an, zeigt sich, dass konventionelle Korrelationsberechnungen die tatsächlichen Diversifikationseigenschaften von Finanzinstrumenten unzulänglich beschreiben.

Stabile Korrelation auch in fallenden Aktienmärkten macht Goldanteil attraktiv

So beträgt zum Beispiel die Korrelation zwischen den beiden MSCI-Indizes in negativen Hochstressphasen 0,72 und nicht 0,57, wie es die konventionelle Korrelationsanalyse suggeriert. Bei positivem Stress hingegen fällt sie auf 0,49. Das Zusammenspiel der Indizes mit Gold sieht anders aus. Negativer Stress hat keinen Einfluss auf die Diversifikationseigenschaften. Die Korrelation verharrt um null. Sie sinkt jedoch in starken Bullenmärkten auf unter null (minus 0,23). Es ist aber gerade die stabilere Korrelation in fallenden Aktienmärkten, die eine gewisse Goldbeimischung attraktiv macht.

Die realistische Einschätzung und die effektive Begrenzung von Investmentrisiken ist maßgeblich für den langfristigen Anlageerfolg. Übertriebene Euphorie kann ein böses Erwachen zur Folge haben und Anlegende wieder ins Sparbuch treiben. Umgekehrt: Übertriebene Verlustängste halten allzu viele von der Börse fern, mit gravierenden Folgen für die individuelle Altersvorsorge und die allgemeine Vermögensungleichheit. Effektive Diversifikation, um Risiken bei der Geldanlage im Zaum zu halten, will verstanden sein. Hier sind Wissenschaft, aber auch Finanzdienstleister und Anlegerschützer gefordert, mehr sachliche Aufklärungsarbeit zu leisten.

Der Artikel ist in leicht geänderter Fassung als Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 24. Oktober 2021 erschienen.

Bild: The Creative Exchange, unsplash.com

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Prof. Dr. Stefan Mittnik
GRÜNDER, WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT
Professor Dr. Stefan Mittnik lehrte von 2003 bis 2020 Finanzökonometrie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Zudem ist er Direktor des Center for Quantitative Risk Analysis sowie Fellow am Center for Financial Studies (CFS) in Frankfurt. Nach der Promotion in den USA lehrte er in New York und Kiel, bevor er nach München wechselte. Er war Mitglied des Forschungsbeirats der Deutschen Bundesbank, Fachkollegiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie Forschungsdirektor am CFS und Ifo-Institut und hatte mehrere Gast- und Ehrenprofessuren im Ausland inne. Seit mehr als 30 Jahren forscht er zu Fragen der Analyse, Modellierung und Prognose von Finanzmarktrisiken und entwickelt Lösungen, bei denen empirische Relevanz statt finanzmathematischer Eleganz im Vordergrund stehen.