Jetzt Gold kaufen – eine gute Idee?

22. Oktober 2020  |  Prof. Dr. Stefan Mittnik
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Das Edelmetall schützt vor Inflation, glauben viele Anleger. Stimmt das? Und wann lohnt sich der Einstieg in ein Goldinvestment? Antworten gibt eine statistische Analyse.

Bei der Frage, ob sich ein Investment in Gold lohnt, scheiden sich die Geister. Gold zahle keine Dividende, monieren die Einen, während die Andern seine Funktion als Mittel zur Werterhaltung betonen. Um letzteres zu untermauern, muss die gute alte Tunika herhalten. Eine gute Tunika soll im alten Rom für eine Unze, rund 31,1 Gramm, Gold erhältlich gewesen sein. Für einen guten Maßanzug sollte man heute ähnlich viel veranschlagen, aktuell also rund 1.600 Euro.

So richtig überzeugt dieses Argument nicht. Eine Unze Gold war vor 2.000 Jahren dasselbe wie heute. Allerdings: Was eine gute Tunika ausmacht, dürfte damals genauso umstritten gewesen sein, wie es heute beim Maßanzug der Fall ist. Nicht nur bei Schnitt und Material, auch bei der Frage des angemessenen Preises können die Meinungen so weit auseinander liegen wie Donald Trump und Joe Biden bei der Frage nach den angemessenen Kosten für eine gelungene Frisur. Ermittelt der Anzugkäufer seine Körpermaße selbst und gibt sie online ein, kann er mit weniger als 300 Euro oder 5,8 Gramm Gold davonkommen. Der Kölner Maßschneider Sebastian Hoofs hingegen rechnet penibel vor, dass selbst zwei Goldunzen nicht reichen: Die Fertigungskosten liegen bei 3.840 Euro, hinzu kommen 300 bis 750 Euro für Ober- und Futterstoffe, Einlagen, Knöpfe und Garne. Da im Verlauf der letzten 2.000 Jahre zum jeweiligen Goldkurs stets Tuniken beziehungsweise Maßanzüge für eine Unze Gold erhältlich gewesen sein dürften – wenn auch in variierender Qualität und modischer Aktualität –, ist Kleidung mangels allgemeingültiger Standards als Referenzprodukt schlichtweg ungeeignet.

Wiesnbier als Standard

In München können wir zum Glück auf ein repräsentatives Referenzprodukt zurückgreifen: das Wiesnbier. Es erfreut sich, wenn auch zeitlich begrenzt, weitläufiger Akzeptanz und ist seit dem Erlass der bayerischen Landesordnung von 1516, in dem das Reinheitsgebot für die Bierherstellung der Stadt München aus dem Jahre 1447 auf ganz Bayern erweitert wurde, ein weitgehend standardisiertes Produkt in annähernd gleichbleibender Qualität. Abgesehen davon ist es hochliquide. Anhand der von ihnen berechneten Wiesnbier/Gold-Ratio zeigen die Experten der Liechtensteiner Incrementum AG, dass das Edelmetall zumindest in der Nachkriegszeit seiner Funktion als Werterhaltungsmittel mehr als gerecht wurde. Konnte man 1950 genau 86,7 Maß Bier für eine Unze Gold konsumieren, waren es 2019 sogar 115. Dieses Mehr entspricht über die 70 Jahre betrachtet einer durchschnittlichen Jahresrendite von 0,4 Liter Wiesnbier je Goldunze. Anders ausgedrückt: Hätten Sie 1950 fünf Unzen Gold zur Seite gelegt und jedes Jahr rund ein Viertel Gramm davon verkauft, hätte das im Mittel einer Ausschüttung von zwei Maß pro Oktoberfest entsprochen, und Sie könnten sich von den gut drei verbliebenen Unzen auch heute noch an die 85 Maß gönnen. Zusätzlich zum Erhalt des in Maß-Einheiten gemessenen Wertes kann man daher von dividendenähnlichen Ausschüttungen sprechen.

Das Ganze ist allerdings eine Durchschnittsbetrachtung. Die Wiesnbier/Gold-Ratio schwankte stark während der letzten 70 Jahre. Sie lag im Mittel bei 89 Maß pro Unze, erreichte 1980 mit 227 ein Allzeithoch und 1971 mit 48 ihren absoluten Tiefpunkt. Das lag nicht am schwankenden Bierpreis. Der nahm – wie nicht anders zu erwarten, wenn er durch einen gemeinsamen Beschluss der Oktoberfest-Gastronomen jährlich ausgekungelt wird – einen strikt monoton steigenden Verlauf. Es ist der Goldkurs, der enormen Schwankungen unterliegt. Legt man den Bierpreis von 2019 – die diesjährige Wiesn fiel bekanntlich coronabedingt aus – und den aktuellen Goldpreis zugrunde, dann wird die Unze Gold mit 135 Maß bewertet. Rund 50 Prozent über dem langfristigen Durchschnitt. Die Interpretation des Finanzwirts: Gold ist überbewertet. Die des Gastwirts: Bier ist unterbewertet.

Jetzt einsteigen?

Damit stellt sich, nach dem Ob, die zweite wichtige Frage: Wenn ja, wann ist ein geeigneter Einstiegszeitpunkt für ein Goldinvestment? Legt man die Wiesnbier/Gold-Ratio zugrunde, jetzt wohl eher nicht. Der Berkeley-Ökonom Roy Jastram ging dieser Frage mit breiterer empirischer Fundierung nach. In seinem 1977 erschienen Buch führte er die Hypothese der „Goldenen Konstante“ ein. Sie besagt, dass die Kaufkraft von Gold langfristig konstant ist. Seine Analysen, die den Zeitraum von 1560 bis 1976 abdecken, untermauern den langfristigen Kaufkrafterhalt. Es stellen sich allerdings zwei Fragen: Gilt die Hypothese auch in der Neuzeit? Und was heißt „langfristig“? Für den heutigen Anleger beginnt die Neuzeit in Sachen Gold vor rund einem halben Jahrhundert. Zuvor war der Goldpreis im Bretton-Woods-Währungsabkommen von 1944 auf 35 Dollar je Unze weitestgehend fixiert. Zudem: In vielen Ländern war der Privatbesitz von Gold stark eingeschränkt oder gar verboten. In Deutschland bis 1955, in Großbritannien bis 1971 und in den USA bis 1974. Erst Anfang der 1970er Jahre, als sich der Zusammenbruch der Bretton-Woods-Vereinbarung anbahnte, kam Bewegung in den Goldpreis.

Für die beiden US-Ökonomen Claude Erb und Campbell Harvey machte es daher Sinn, den Gehalt der Hypothese der Goldenen Konstante ab diesem Zeitpunkt genauer unter die empirische Lupe zu nehmen. Sie machten den realen Wert von Gold nicht anhand von Kleidungsstücken oder Kaltgetränken fest, sondern legten einen repräsentativen Warenkorb für US-Haushalte zugrunde, dessen relative Preisentwicklung der Consumer Price Index (CPI) der USA angibt. Die Gold/CPI-Ratio spiegelt den realen Preis von Gold wider, gemessen am US-CPI. Schwankt der Quotient im Zeitablauf um einen fixen Wert, kann dieser als der reale Durchschnittspreis von Gold betrachtet werden. Und Abweichungen davon stellten dann Phasen einer zeitweisen Über- oder Unterbewertung dar.

Lange Phase der Überbewertung

Die Studien von Erb und Harvey liefen bis 2016. Bringt man deren Ergebnisse auf den aktuellen Stand, ergibt sich, dass der mittlere reale Goldpreis der letzten 50 Jahre bei 3,53 CPI-Einheiten lag. Die tatsächlichen realen Preise wichen aber zum Teil über lange Zeiträume stark vom mittleren Wert ab. Aus Sicht der Werterhaltung gab es also lange Perioden, in denen Gold markant über- oder unterbewertet war. Der Tiefstwert mit 0,95 wurde am Ende der Bretton-Woods-Ära gemessen, der Spitzenwert mit 8,65 im Jahr 1980 – Daten, die mit den Erkenntnissen der Wiesnbier/Gold-Ratio übereinstimmen. In den 1970er Jahren und auch von Ende der 1980er bis fast zum Ende der Nullerjahre war Gold unterbewertet. Für die letzten zehn, zwölf Jahre signalisiert die Gold/CPI-Ratio durchgängig eine Überbewertung. Aktuell liegt der reale Preis für Gold bei 7,39, nicht weit unter dem neuzeitlichen Allzeithoch. Anders betrachtet: Der nominale Goldpreis lag im September durchschnittlich bei 1923 Dollar, der aktuelle CPI-Wert rechtfertigt lediglich einen Kurs von 1076 Dollar.

Realer Goldpreis nahe Allzeithoch

Verhältnis aus Goldkurs und Consumer Price Index der USA seit 1971
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Quellen: Deutsche Bundesbank, St. Louis Federal Reserve Bank, eigene Berechnungen. Hinweis: Weder vergangene Wertentwicklungen noch Prognosen haben eine verlässliche Aussagekraft über zukünftige Wertentwicklungen.

Auch der Blick durch die Brille der Goldenen Konstante lässt erkennen: Derzeit scheint kein günstiger Zeitpunkt für ein Goldinvestment zu sein. Zwei Einwände können diese Sichtweise in einem anderen Licht erscheinen lassen. Zum einen ist nicht klar, ob die Goldene Konstante nach Bretton Woods überhaupt noch Gültigkeit hat. Die Hypothese impliziert, dass die Gold/CPI-Ratio durchaus schwanken kann, langfristig sollte sie aber zum Mittelwert zurückkehren. Ist das der Fall, spricht man in der Statistik von Mean-Reversion. Statistische Untersuchungen deuten an, dass Mean-Reversion für die Gold/CPI-Ratio nicht mehr gegeben ist oder dass der Prozess so träge ist, dass vielleicht Jahrhunderte und nicht Jahrzehnte erforderlich sind, um den Werterhaltungseffekt von Gold zu verspüren. Zeiträume, die für inflationsschutzsuchende Anleger typischerweise uninteressant sind.

Gold hat noch andere Reize

Der zweite Einwand: Die Analyse unterstellt, dass ausschließlich Inflation der fundamentale Treiber für die Goldpreisentwicklung ist. Abgesehen von der Frage, welches Inflationsmaß sinnvoll ist, stellt sich die Frage, ob bei Goldanlagen nicht auch andere Überlegungen von Bedeutung sind. Neben Inflationsschutz werden häufig zwei weitere Argumente genannt. Erstens: Gold bietet generell einen sicheren Hafen in Krisenzeiten, nicht nur bei Währungskrisen. Zweitens: Es dient der Abfederung von Anlagerisiken. Da sich der Goldkurs oft anders verhält als die Kurse an den Aktien- und Rentenmärkten, hilft es bei der Diversifikation von Risiken. Beide Aspekte könnten inflationsbereinigte Über- oder Unterbewertungen erklären und gute Argumente für Goldinvestments liefern, auch wenn die aktuelle Bewertung hoch erscheint.

Für deutsche Anleger kommt noch ein drittes Argument hinzu: Gewinne, die mit Goldmünzen oder Goldbarren erzielt werden, sind nach einer Haltefrist von einem Jahr abgeltungssteuerfrei. Auch vom Tisch zu sein scheinen die Pläne von Bundesfinanzminister Scholz, einfach und deutlich günstiger zu erwerbende börsengehandelte Goldinvestments wie Xetra- oder Euwax-Gold steuerlich wie Aktieninvestments zu behandeln.

Nicht bekannt ist, ob das Finanzministerium derzeit an der Schließung einer anderen Gerechtigkeitslücke arbeitet: Investments in Aktien und – noch treffender – Genussscheinen von Brauereigesellschaften sind angeblich auch deswegen beliebt, weil auf Hauptversammlungen oder auch anderweitig nicht mit Naturaldividenden gegeizt wird. Darf es sein, dass dieser geldwerte Vorteil steuerlich nicht abgegolten werden muss?

Der Artikel ist in leicht geänderter Fassung als Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 11. Oktober 2020 erschienen.

Bild: kumar gaurav, pexels.com

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Prof. Dr. Stefan Mittnik
GRÜNDER, WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT
Professor Dr. Stefan Mittnik lehrte von 2003 bis 2020 Finanzökonometrie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Zudem ist er Direktor des Center for Quantitative Risk Analysis sowie Fellow am Center for Financial Studies (CFS) in Frankfurt. Nach der Promotion in den USA lehrte er in New York und Kiel, bevor er nach München wechselte. Er war Mitglied des Forschungsbeirats der Deutschen Bundesbank, Fachkollegiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie Forschungsdirektor am CFS und Ifo-Institut und hatte mehrere Gast- und Ehrenprofessuren im Ausland inne. Seit mehr als 30 Jahren forscht er zu Fragen der Analyse, Modellierung und Prognose von Finanzmarktrisiken und entwickelt Lösungen, bei denen empirische Relevanz statt finanzmathematischer Eleganz im Vordergrund stehen.