„Männer suchen beim Anlegen den Kick“

13. Oktober 2017  |  Tobias Aigner
Männer suchen den Kick
Professor Christoph Harff ist Experte für Behavioral Finance. Er weiß, wie Anleger ticken.
Im Interview verrät er, in welche Psychofallen sie tappen, ob Finanzprofis ihre Gefühle im Griff haben und wie sich emotionale Anlageentscheidungen vermeiden lassen.
Prof. Christoph Harff

Wie treffen Privatanleger ihre Entscheidungen? Handeln sie emotionaler als Profi-Investoren? Woran erkennt man eine gute Vermögensverwaltung? Solche Fragen treiben Christoph Harff (Foto links) um, Professor an der Hochschule Hamm-Lippstadt. Dass er im Elfenbeinturm sitzt, kann man ihm sicher nicht vorwerfen. Harff hat mehr als 16 Jahre für die Deutsche Bank und die Privatbank Pictet gearbeitet, vor allem in der Vermögensverwaltung. Dabei hat er sehr reiche Familien betreut und viel über die Psyche der Investoren gelernt. Scalable Capital hat den 46-Jährigen zum Gespräch getroffen.

Herr Professor Harff, der Wirtschaftsnobelpreis geht dieses Jahr an Richard Thaler, einen Behavioral-Finance-Experten. Behavioral Finance – zu Deutsch: Verhaltensökonomie – ist auch Ihr Fachgebiet. Es untersucht die Anlegerpsyche. Wie tickt der Investor?

Christoph Harff: Auf jeden Fall anders als die Ökonomen lange dachten: Der Anleger ist kein homo oeconomicus – kein Mensch, der stets rational entscheidet, indem er seinen Nutzen abwägt.

Wenn die große Mehrheit der Anleger in eine Richtung läuft, dann kann auch ein großer Aktienmarkt wie die Wall Street mal für längere Zeit ziemlich ineffizient sein.

Woran machen Sie das fest?

Das hat man in vielen Experimenten herausgefunden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, den sogenannten Attention-Grabbing-Effekt. Menschen greifen gern auf Dinge zurück, die immer wieder ihre Aufmerksamkeit erregen. Darum gibt es so viel Werbung. Wenn wir ein Produkt wiedererkennen, kaufen wir es. So ist es auch am Finanzmarkt. Die große Mehrheit der Leute investiert nur in Aktien aus dem DAX – einfach weil sie bekannt sind. Rational ist das nicht. Die DAX-Aktien entwickeln sich nicht besser als kleinere Werte außerhalb des Index oder als ausländische Werte. Ein homo oeconomicus würde die Informationen zu allen Aktien auswerten und seine Wahl unabhängig vom Bekanntheitsgrad treffen.

Der homo oeconomicus ist Grundlage der Theorie der effizienten Finanzmärkte. Sie besagt, dass alle relevanten Informationen stets in den Kursen enthalten sind. Und dass es deshalb aussichtslos ist, den Index schlagen zu wollen. Sind die Finanzmärkte nicht effizient?

Die Märkte sind schon sehr effizient. Weltweit handeln zig Millionen Teilnehmer. Und moderne Technologie sorgt für einen schnellen, reibungslosen Ablauf dieses Handels. Da ist es kaum möglich, sich einen Informationsvorsprung zu verschaffen und damit dauerhaft überdurchschnittliche Gewinne einzufahren – etwa durch Arbitrage. Allerdings sind auch die liquidesten Märkte nicht 100-prozentig effizient.

Woher wissen Sie das?

Das sieht man zum Beispiel am Herdenverhalten, das die Behavioral Finance auch untersucht hat. Wenn die große Mehrheit der Anleger in eine Richtung läuft, dann kann auch ein großer Aktienmarkt wie die Wall Street mal für längere Zeit ziemlich ineffizient sein.

Dann können clevere Anleger den Markt in diesen Phasen ja doch schlagen.

Ja, aber das ist enorm schwer. Wir sind kaum in der Lage, eine Blase zu identifizieren, wenn wir „drin stecken‟. Wir können nicht ermitteln, ob sich die Mehrheit der Anleger zu einem bestimmten Zeitpunkt irrational verhält und der Markt ineffizient ist.

Wir urteilen meist anhand von Heuristiken. Heuristik bedeutet: Der Mensch sucht nach einer Lösung für ein Problem und nimmt dabei eine Abkürzung.

Warum? Behavioral-Finance-Experten könnten die Anleger doch geschickt dazu befragen und eine Crashwarnung herausgeben, wenn die Mehrheit irrationale Entscheidungen trifft.

Das klappt nicht. Man kann irrationales Verhalten zwar durch Inkonsistenzen nachweisen. Das hat man zum Beispiel am Arbeitsmarkt gemacht, bei den Einstellungsverfahren. Man hat Personalern mehrere Bewerber mit unterschiedlichen Merkmalen vorgestellt – Abschlussnoten, Berufserfahrung und so etwas. Ergebnis: Bei der Auswahl legen sie kein konsistentes Bewertungsschema an. Mal achten sie stärker auf das eine Kriterium, mal stärker auf das andere. Das ist irrational und ineffizient. Aber wie wollen Sie das auf die Börse übertragen? Oder auf die aktuelle Situation am Immobilienmarkt? Die Geldflut der Notenbanken führt zu immer höheren Preisen. Aber zeigt jemand, der jetzt kauft, schon irrationales Herdenverhalten? Vielleicht ist es noch sehr vernünftig, in Immobilien zu investieren, weil dort bessere Renditen zu erwarten sind als anderswo.

Herdentrieb, Attention-Grabbing-Effekt: Welche auffälligen Verhaltensweisen zeigt der Anleger noch?

Eine ganz Menge. Wichtig ist der Dispositionseffekt. Verluste jagen Menschen eine Mordsangst ein. Die Folge: Anleger halten ihre Verlustbringer viel zu lange im Depot, um die Verluste nur ja nicht zu realisieren. Dabei reden sie sich ein, die Kurse würden sich schon wieder erholen. Umgekehrt verkaufen sie Gewinner meist zu früh. Hat die Aktie eine vorher ins Auge gefasste Schwelle erreicht, zum Beispiel ein Plus von zehn Prozent, dann stoßen Anleger das Papier meist ab, ohne sich vorher noch mal zu überlegen, ob weitere Kursgewinne wahrscheinlich sind.

Haben Sie noch ein Beispiel?

Ja, Overconfidence – Selbstüberschätzung. Wenn sie Menschen fragen, wie gut sie Auto fahren, dann sagen 60 bis 70 Prozent von ihnen: überdurchschnittlich. Und so gut wie keiner hält sein Fahrkönnen für unterdurchschnittlich. An der Börse sorgt dieses übersteigerte Selbstbewusstsein dafür, dass der Investor zu hohe Risiken eingeht, weil er denkt, er hat die Risiken im Griff. Zudem handeln Anleger zu viel, weil sie in ihrem Optimismus davon ausgehen, sie würden die Zukunft gut einschätzen können.

Klingt alles nicht so, als ob unser Gehirn sehr clever wäre.

Wenn Sie so wollen, stimmt das. Aber unser Gehirn ist in einer langen Evolution entstanden. Da haben sich diese Verhaltensweisen eingeprägt. Das übersteigerte Selbstbewusstsein hat der Mensch mitbekommen, damit er auch schwierige Aufgaben bewältigen kann. Er würde sonst womöglich viel zu schnell die Segel streichen. Und das Herdenverhalten geht auf eine Zeit zurück, als die Menschen noch in kleinen Gruppen zusammenlebten. Da wollte keiner ausgestoßen werden, also hat jeder das Verhalten der anderen nachgeahmt.

Daniel Kahneman, der für seine Behavioral-Finance-Forschung schon 2002 den Wirtschaftsnobelpreis bekam, sagt, dass bei der Entscheidungsfindung im Gehirn zwei Systeme konkurrieren: ein schnelles, intuitives und ein langsames, logisches. Der Einfachheit halber greifen wir dummerweise oft auf das intuitive zurück, das viele schlechte Ergebnisse liefert.

Richtig. Wir urteilen meist anhand von Heuristiken. Heuristik bedeutet: Der Mensch sucht nach einer Lösung für ein Problem und nimmt dabei eine Abkürzung. Statt alle Informationen akribisch auszuwerten, fällt er seine Entscheidung Pi mal Daumen. Kahneman sieht das als Problem.

Es ist kein Zufall, dass sowohl aktive Portfoliomanager als auch Privatanleger systematisch weniger Rendite einfahren als der Markt.

Sie nicht?

Nun ja, der Verhaltensforscher Gerd Gigerenzer betont den Vorteil der intuitiven Herangehensweise. Er sieht sie als sehr effektives Werkzeug, damit wir uns in dieser komplexen Welt überhaupt zurechtfinden können. Und er sagt, dass die Entscheidungen in der Regel gut sind. Dazu hat er vor rund 15 Jahren ein sehr anschauliches Experiment durchgeführt. Er fragte amerikanische und deutsche Studenten, welche Stadt größer sei: San Diego oder San Antonio. Nur zwei Drittel der Amerikaner gaben die richtige Antwort: San Diego. Dagegen tippten die deutschen Studenten fast alle richtig. Eigentlich seltsam: Die Amerikaner kannten beide Städte, hatten also mehr Informationen. Aber das hat sie eher verwirrt. Sie begannen nachzudenken und urteilten häufiger falsch. Die Deutschen kannten im Zweifelsfall nur San Diego und dachten einfach: Das muss die größere Stadt sein. Kurz und richtig.

Hilft Intuition auch in der Geldanlage weiter?

Sie ist sehr oft ein guter Ratgeber. Wenn Ihnen heute jemand zehn Prozent Rendite verspricht, dann schrecken Sie wahrscheinlich erst mal zurück und denken: Das muss aber ein riskantes Investment sein.

Trotzdem lassen sich Anleger oft scharenweise blenden. Den überzogenen Prognosen der Firmen am Neuen Markt haben sie genauso geglaubt wie dem Windparkbetreiber Prokon, der auf seine Genussrechte acht Prozent versprochen hat und später Insolvenz anmelden musste. Die Investmentgeschichte ist voll solcher Beispiele.

Zum einen überlagern sich hier die Effekte. Der Herdentrieb am Neuen Markt, man könnte auch sagen: die Gier, hat die intuitiv richtige Risikoabwägung vermutlich ausgehebelt. Zum anderen haben ja nicht alle Bundesbürger Prokon-Genüsse gekauft und am Neuen Markt spekuliert. Die Forschung zeigt, dass unterschiedliche Menschen sehr unterschiedlich auf solche Angebote anspringen. Ob sie dafür empfänglich sind, hängt massiv vom Alter ab, von der Börsenerfahrung, von ihrer Persönlichkeit und ihrem Geschlecht.

Ich kenne vor allem Männer, die am Neuen Markt Geld verloren haben. Sind Frauen bessere Anleger?

Eindeutig. Frauen handeln sehr viel risikobewusster. Der Mann sucht beim Anlegen eher den Kick...

… und greift deshalb oft daneben.

Nicht unbedingt. Es ist vor allem sein Spaß am Traden, der ihm einen Strich durch die Börsenrechnung macht. Er handelt einfach zu viel. Dadurch generiert er hohe Transaktionskosten, die seine Performance zerstören.

Beobachten Sie irrationale Verhaltensweisen auch bei sich selbst, oder sind Sie inzwischen immun dagegen?

Niemand ist immun. Auch ich nicht. Beispiel Dispositionseffekt: Ich habe mal einen ETC, also ein Indexpapier, auf einen breiten Korb von Rohstoffen gekauft, um diese Anlageklasse in meinem Depot zu berücksichtigen. Doch dieser Index-Tracker hat die Wertentwicklung des Rohstoffkorbs sehr schlecht abgebildet. Wenn der Index zulegte, zog der ETC kaum mit. Umgekehrt ging er aber voll mit, wenn der Index gefallen ist. Ich habe das genau beobachtet, mir den Fehler aber erst Jahre später eingestanden. So lange dümpelte das Papier in meinem Depot rum.

Das bedeutet, Profis tappen beim Anlegen in dieselben Psychofallen wie Privatanleger?

Ja, sie sind genauso anfällig. Profis haben allerdings zwei Vorteile. Erstens können sie viel mehr Informationen zum Kapitalmarkt sammeln und verarbeiten. Dadurch treffen sie ihre Entscheidungen auf einer viel aussagekräftigeren Basis. Und zweitens ist der Profi nicht allein. Da sitzen ganze Teams, die ein Korrektiv für irrationale Entscheidungen sind.

Es ist empirisch erwiesen, dass man auf Dauer eine überdurchschnittliche Performance erzielt, wenn man Kursverluste abfedert.

Sollte der Privatanleger deshalb besser einen Vermögensverwalter anheuern?

Ja, aber bitte keinen Stock-Picker. Diese Profis suchen aktiv nach besonders aussichtsreichen Einzelaktien, haben meist einen individuellen Anlagestil und viel individuelle Entscheidungsgewalt. Da schlagen die Fehler aus der Verhaltensökonomie wieder stark aufs Portfolio durch. Es ist kein Zufall, dass sowohl aktive Portfoliomanager als auch Privatanleger systematisch weniger Rendite einfahren als der Markt.

Wer macht es besser?

Vermögensverwalter, die auf regelgebundene Anlagesysteme setzen. Weil sie damit Rationalität in die Geldanlage bringen und emotionale Entscheidungen vermeiden.

Wie müssen diese Regeln gestrickt sein?

Nicht zu starr. Der Vermögensverwalter muss die Portfolios an die Marktsituation anpassen können. Wenn zum Beispiel das Marktrisiko steigt, dann muss er in risikoärmere Anlagen umschichten, damit das Portfoliorisiko nicht auch nach oben schießt.

Was Sie da beschreiben, ist ein dynamisches Risikomanagement.

Genau. Ein guter Verwalter managt Risiken, nicht Renditen. Wer das richtig macht, bei dem kommen die Renditen irgendwann von allein. Es ist empirisch erwiesen, dass man auf Dauer eine überdurchschnittliche Performance erzielt, wenn man Kursverluste abfedert. Diese Erkenntnis ist in der Vermögensverwalterszene noch längst nicht überall angekommen.

Wer gutes Risikomanagement betreibt, kann nicht jeden Aktienaufschwung voll mitnehmen. Da muss man cool bleiben, wenn einem die Freunde erzählen, dass sie gerade 20 Prozent Rendite einfahren.

Wer Kursstürze abfedert, landet in der Aufschwungphase aber auch mal hinter dem DAX.

Ja, das müssen die Anleger vielleicht noch lernen. Wer gutes Risikomanagement betreibt, kann nicht jeden Aktienaufschwung voll mitnehmen. Da muss man cool bleiben, wenn einem die Freunde erzählen, dass sie gerade 20 Prozent Rendite einfahren. Ich habe einige Jahre in der Vermögensverwaltung gearbeitet und kann Ihnen sagen: Für sehr reiche Anleger, die ihr Vermögen von Generation zu Generation weitergeben, ist das meist selbstverständlich. Ihnen ist es viel wichtiger, große Kursstürze zu umschiffen, als bei jeder Aktienrally voll dabei zu sein.

Viele der neuen Robo-Advisor bieten eine regelbasierte Geldanlage. Werden sie die klassischen Vermögensverwalter verdrängen?

Sie werden ihnen auf jeden Fall weiter Marktanteile abnehmen. Denn die Technologisierung nimmt immer mehr Fahrt auf, die Algorithmen werden immer besser. Davon profitiert vor allem der private Investor. Auch mit einer kleinen Anlagesumme kann er auf eine professionelle Vermögensverwaltung zurückgreifen, die individuell auf ihn abgestimmt ist und zudem wenig kostet. Die Demokratisierung der Geldanlage – das ist nicht nur ein schöner Begriff. Sie wird Wirklichkeit.

Bild: Marvin Meyer/Unsplash.com

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Tobias Aigner
Tobias Aigner
EDITOR IN CHIEF (Ehemals)
Tobias ist Finanz- und Wirtschaftsjournalist mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung. Zuletzt arbeitete er als leitender Redakteur für das Wirtschaftsmagazin €uro. Zuvor war er für Capital, Börse Online, die Financial Times Deutschland und die Süddeutsche Zeitung tätig. In seinen Kommentaren, Analysen und Features setzte er sich vor allem mit den Themen Börse, Risikomanagement und regelbasierte Anlagemodelle auseinander. Tobias hat Physik an der TU München studiert.