Sieben Finanz-Ausblicke aufs Jahr 2022

9. Dezember 2021  |  Nicolas Zeitler
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Auch wenn niemand die Zukunft sicher voraussagen kann: Alle starten mit Erwartungen in die kommenden zwölf Monate – Einschätzungen von Expertinnen und Experten zu Inflation, Börsenentwicklung, Nachhaltigkeit und mehr.

Christian W. Röhl ist Börsenexperte, Buchautor und Vermögensverwalter in eigener Sache. Er publiziert unter anderem auf Twitter und Instagram unter @CWRoehl.

Wo steht der DAX Ende 2022, Christian W. Röhl?

Der DAX steigt 2022 auf 20.000 Punkte. Bis zum Frühjahr haben wir uns aus der Pandemie herausgeimpft und die überwiegend aus Corona-Basiseffekten resultierende Inflation sinkt wieder auf Normalmaß – so dass die Zinsen niedrig bleiben und viel frisches Geld nicht nur den von der neuen Bundesregierung beschworenen Investitionsboom antreibt, sondern auch den Aktienmarkt. Kaufen!!!

Wobei… gerade in den USA ist die Wirtschaft ziemlich heißgelaufen und wenn da eine Lohn/Preis-Spirale in Gang kommt, wird die Fed die Zinsen anheben – was Gift für die Aktienmärkte ist und nach der Devise „Wenn Wall Street niest, kriegt Europa den Schnupfen“ auch hierzulande für Verwerfungen sorgen wird. Dazu womöglich noch eine neue Euro-Krise, falls der Streit um die Kosten der Pandemie eskaliert. Da kann man froh sein, wenn der DAX sich noch über 12.000 Zählern halten kann.

Zwei diametral entgegengesetzte Prognosen, durchaus plausibel begründet – und für Anleger völlig wertlos. Denn weder wissen wir, was passiert. Noch können wir zuverlässig voraussagen, wie die Börse auf bestimmte Ereignisse reagieren wird. Deshalb sollten wir die zum Jahreswechsel übliche Kaffeesatzleserei sein lassen und unser Portfolio so aufstellen, dass wir für jedes halbwegs valide Szenario gerüstet sind. Will heißen: Systematische Streuung über verschiedene Anlage-Klassen, Länder, Währungen und Sektoren. Ein solides Aktien-Fundament aus globalen Qualitätsaktien mit stabilen Cashflows, ergänzt um junge Wachstumsfirmen aus dem Silicon Valley und europäische Nebenwerte, dazu Inflationsanleihen, Gold und vielleicht einer kleine Krypto-Position – eingebettet in ein klares strategisches Regelwerk und ausgestattet mit einem langfristigen Horizont.

Franziska Grotz
ist als Vice President Wealth und Sustainability Officer für das nachhaltige Angebot in der digitalen ETF-Vermögensverwaltung von Scalable Capital verantwortlich.

Wird „SRI“ beim nachhaltigen Anlegen der neue Standard, Franziska Grotz?

SRI steht für „Social Responsible Investing“ und ganz allgemein für nachhaltiges Investieren. Bei ETFs bezeichnet das Kürzel die Produkte, deren Referenzindex die strengsten Kriterien an Nachhaltigkeit aufweist. Zusätzlich zu den üblichen Ausschlüssen etwa von Kohlekonzernen oder Waffenherstellern werden bei SRI nur die Unternehmen mit den besten Nachhaltigkeits-Ratings aufgenommen. Während im nachhaltigen Index MSCI World ESG Screened knapp 1.500 Unternehmen enthalten sind, enthält der MSCI World SRI nur 400. Starbucks etwa ist in weniger strengen nachhaltigen Indizes enthalten, im SRI-Standard aber wegen Bedenken hinsichtlich der Arbeitsbedingungen ausgeschlossen. Wichtig: Trotz der strengen Ausschlüsse sind auch SRI-Indizes und -ETFs breit über Regionen und Branchen diversifiziert.

Wer keinen Kompromiss bei Nachhaltigkeit eingehen will, entscheidet sich schon heute für ein SRI-Produkt. Der Standard ist das zwar noch nicht und wird es wohl auch 2022 nicht werden. Aktuell erfüllt ein Viertel der über Xetra angebotenen nachhaltigen ETFs den SRI-Standard. Allerdings zeigen die stark steigenden verwalteten Vermögen in SRI-ETFs einen klaren Trend hin zu diesen Produkten. In der nachhaltigen Vermögensverwaltung bei Scalable Capital sind bereits die meisten ETFs in der Anlageklasse Aktien auf SRI umgestellt.

Dr. Gerd Kommer schreibt regelmäßig über Investmentthemen. Er ist Buchautor, unter anderem zum Thema ETFs, und Gründer und Geschäftsführer von Gerd Kommer Invest und Gerd Kommer Capital.

Wer zweifelt 2022 noch daran, dass ETFs und Indexfonds eine der besten Erfindungen der Finanzbranche in den letzten 50 Jahren sind, Gerd Kommer?

Es gibt viele, die am Nutzen von ETFs zweifeln, und zwar viele Banker und Vertreter von traditionellen Asset-Management-Firmen, die aktiv gemanagte Fonds, andere aktiv gemanagte Finanzprodukte und Vermögensverwaltung mit aktiven Anlagestrategien verkaufen. Diese Leute sind natürlich gar nicht happy über ETFs, weil ETFs in den vergangenen 25 Jahren einen immensen Margendruck auf die etablierten Player ausgeübt haben und erfreulicherweise weiterhin ausüben. Privatanleger können aber über die Erfindung von Indexfonds Anfang der 1970er-Jahre und ETFs Anfang der 90er-Jahre sehr glücklich sein. ETFs haben, wie kein zweites Finanzprodukt, Kosten für Anleger gesenkt und zur Demokratisierung der Kapitalmärkte beigetragen.

Celine Nadolny rezensiert auf ihrer Website jede Woche Bücher aus den Bereichen Finanzen, Karriere und Persönlichkeitsentwicklung. Ihre Buch- und Finanztipps sind zudem über ihren Instagram-Kanal @bookoffinance zu finden.

Worauf legen Frauen beim Investieren wert, Celine Nadolny?

Ich hoffe doch sehr, dass wir Frauen uns in 2022 bei der Kapitalanlage wieder auf den Wert besinnen, der uns auch statistisch betrachtet zu den erfolgreicheren Investor:innen macht: Nämlich rationales Handeln. Finger weg von vermeintlichen „Frauenaktien“, Glaskugel-Expert:innen und der Vermischung von Konsum und Investition. Der Aktienmarkt kennt kein Geschlecht und Moden hinterherzulaufen war noch nie eine gute Idee.

Auch in 2022 gilt weiterhin: Die Kapitalanlage muss nicht spannend, sondern erfolgreich sein. Unsere Zeit ist kostbar und die wunderbarsten Momente unseres Lebens brauchen Raum zur Entfaltung. Deswegen stehen für mich finanzielle Bildung und der Leitsatz „passiv an der Börse, aktiv im Leben“ für das kommende Jahr hoch im Kurs.

Prof. Dr. Stefan Mittnik ist Mitgründer und wissenschaftlicher Beirat von Scalable Capital. Von 2003 bis 2020 lehrte er Finanzökonometrie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Was ist nächstes Jahr so richtig riskant, Stefan Mittnik?

Im November finden in den USA die „Midterm Elections“ statt, also die Wahl in der Mitte der Amtszeit von Präsident Joe Biden, bei der die Abgeordneten des Repräsentantenhauses und ein Drittel der 100 Sitze des Senats gewählt werden. Aktuell befinden sich Präsidentschaft und beide Kammern in der Hand der Demokraten. Immer dann, wenn alle drei Institutionen von einer Partei beherrscht werden, egal ob Demokraten oder Republikaner, kommt es zu maßgeblichen politischen Entscheidungen, die das Land vorwärtsbringen – ob immer in die richtige Richtung, ist eine andere Frage. Ist die Dominanz einer Partei nicht gegeben, ist Blockadestimmung angesagt. Eine Tendenz, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und damit dem Wegfall des größten äußeren Feindes erheblich zugenommen hat. Denn der neue Feind ist ein innerer: der politische Gegner. Im Zweiparteiensystem der USA ist das besonders kritisch. Bei politischen Entscheidungen steht nicht das Interesse des Landes im Vordergrund, sondern möglichst dem politischen Gegner zu schaden. Wobei die Republikaner hier besonderes Geschick an den Tag gelegt haben.

Verlieren die Demokraten bei den Novemberwahlen ihre knappe Mehrheit im Senat, bauen sich brisante Risiken auf. Politischer Stillstand in den USA. Joe Biden mutiert bereits zwei Jahre vor Ende seiner Amtszeit zur „Lame Duck“. Der Wiedereinzug von Donald Trump ins Weiße Haus wird wahrscheinlicher. Die Demokratie als politisches System kommt unter die Räder. Demokratiegegner – national und international – gewinnen die Oberhand, was die Weltbühne nachhaltig verändern kann.
Muss es so kommen? Nein. Aber die Wahrscheinlichkeit war in jüngster Zeit nie so hoch.

Katharina Gehra hat als Blockchain-Expertin schon im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags gesprochen. Sie ist Mitgründerin des Blockchain-Startups Immutable Insight.

Wird Deutschland zum Blockchain- und Krypto-Vorreiter, Katharina Gehra?

China und die USA sind sicher aktuell global deutlich weiter als wir in Deutschland. Nichtsdestotrotz ist es unsere Aufgabe, innerhalb der EU dem Thema die Aufmerksamkeit zu schenken, die mit dem Potential des Themas übereinstimmt: nämlich sehr viel!

Blockchain ist der strukturelle Technologiehebel für eine nachhaltige Wirtschaft, die durch die Token-Ökonomie sowohl zusätzliche Produktivität schafft und andererseits Kreislaufwirtschaft ermöglicht auf nie zuvor gesehenem Detailniveau. Durch neuere Blockchains gilt auch nicht mehr das Energiefresser-Argument, sondern genau das Gegenteil!

Blockchains sind auch der Schlüssel gegen Hacking und den Missbrauch von personenbezogenen Daten. Am wichtigsten aber auch: Es würde uns helfen, Geldwäsche zu eliminieren, wenn wir die Blockchain als Zahlungsinfrastruktur nutzen würden.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Regelmäßig kommentiert er in Fernsehen, Radio und als Kolumnist das Börsengeschehen.

Wo liegt die Inflationsrate in einem Jahr, Robert Halver?

Die Teuerung in Deutschland wird 2022 ihren Gipfel verlassen. Vor allem die preistreibende Wiederauffüllung der gestutzten Lagervorräte an Vor- und Energieprodukten ist dann weitgehend abgeschlossen. Doch ist die neue Corona-Variante Omikron ein nur schwer einschätzbarer Unsicherheitsfaktor.

Diesbezügliche Konjunkturdellen mildern zwar den Preisdruck. Gleichzeitig könnte sie jedoch ebenso die Lieferketten beeinträchtigen und damit die Logistik verteuern. Nicht zuletzt strapaziert der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften die Löhne. Allerdings werden die Verbraucher die Weitergabe steigender Produktionskosten nur teilweise akzeptieren. Ende 2022 dürfte die deutsche Inflationsrate zwischen 2,5 und 3,5 Prozent liegen.

Risikohinweis – Die Kapitalanlage ist mit Risiken verbunden und kann zum Verlust des eingesetzten Vermögens führen. Weder vergangene Wertentwicklungen noch Prognosen haben eine verlässliche Aussagekraft über zukünftige Wertentwicklungen. Wir erbringen keine Anlage-, Rechts- und/oder Steuerberatung. Sollte diese Website Informationen über den Kapitalmarkt, Finanzinstrumente und/oder sonstige für die Kapitalanlage relevante Themen enthalten, so dienen diese Informationen ausschließlich der allgemeinen Erläuterung der von Unternehmen unserer Unternehmensgruppe erbrachten Wertpapierdienstleistungen. Bitte lesen Sie auch unsere Risikohinweise und Nutzungsbedingungen.

 

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Circ Team photo Nicolas
Nicolas Zeitler
Team Lead Editorial (Ehemals)
Nicolas hat sich als Redakteur auf die Themen Finanzen und Digitales spezialisiert. Bevor er 2019 zu Scalable Capital kam, leitete er die Finanzredaktion beim Vergleichsportal Check24. Erste journalistische Sporen verdiente er sich beim Münchner Merkur. Anschließend arbeitete er für das IT-Wirtschaftsmagazin CIO und die Agenturen Grasundsterne und Fischerappelt. Nicolas hat Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert.