Inflation könnte kurzfristig an Dynamik gewinnen

12. Oktober 2022  |  Igor Hirsch
Asset Blog Interview Lueck 1920
Die Verbraucherpreise sind in Deutschland im September im Vergleich zum Vorjahresmonat um zehn Prozent gestiegen. Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar stark an Wert verloren. Dr. Martin Lück von BlackRock ordnet die aktuellen Entwicklungen und ihre möglichen Folgen für die deutsche Wirtschaft und die europäische Geldpolitik im Interview ein.

Dr. Martin Lück

Dr. Martin Lück
ist Leiter Kapitalmarktstrategie für Deutschland, die Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock. In dieser Funktion verantwortet der promovierte Volkswirt seit Oktober 2015 das makroökonomische Research und die Investment-Einschätzungen von BlackRock in der Region.

Herr Dr. Lück, der Euro verlor in den vergangenen Monaten zunehmend gegenüber dem US-Dollar an Wert. Was bedeutet ein schwacher Euro für die deutsche Wirtschaft?

Martin Lück: Ein schwacher Euro erhöht die Importkosten, und weil Deutschland in hohem Maße Energie aus dem Ausland kaufen muss, schlägt dies auf die Inflation durch. Bei den Haushalten absorbiert diese Energiepreisinflation Kaufkraft und schwächt damit den Konsum. Bei den Unternehmen treibt sie die Produktionskosten nach oben, was die Investitionsfähigkeit belastet. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wird also über mehrere Kanäle belastet.

Schaut man auf Rohstoffe wie Kupfer, Bauholz oder Weizen, so sind die Preise in den vergangenen Monaten nach starken Anstiegen wieder gefallen. Ist der Gipfel der Inflation in Deutschland mit einer Rate von zehn Prozent endlich erreicht?

Martin Lück: In der kurzen Frist, also über die nächsten paar Monate, dürfte die Inflation noch an Dynamik gewinnen, wobei das Ausmaß von der Energieknappheit und damit unter anderem von den Temperaturen im Winter abhängt. Generell dürfte aber die Inflation auf Sicht ein Plateau erreichen und dann graduell abnehmen. Dies begründet sich durch Basiseffekte und stark nachlassende Wirtschaftsaktivität.

Generell dürfte aber die Inflation auf Sicht ein Plateau erreichen und dann graduell abnehmen.

Der Mindestlohn ist auf zwölf Euro pro Stunde gestiegen. Gewerkschaften fordern höhere Löhne für ihre Mitglieder wegen der Teuerung. Ist mit einer Lohn-Preis-Spirale zu rechnen?

Martin Lück: Es ist davon auszugehen, dass Gewerkschaften versuchen werden, die gegenwärtigen Preissteigerungen in Ihre Lohnforderungen einzubauen. Dies wird in Branchen, in denen Fachkräftemangel herrscht, zu harten Auseinandersetzungen führen. In den meisten Branchen wären aber Einmalzahlungen die bessere Variante, Arbeitnehmern den Reallohnverlust hoher Inflation auszugleichen, denn die extremen Inflationszahlen dieses Winters dürften keinen Bestand haben.

Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) hat zuletzt dreimal in Folge ihren Leitzins um 0,75 Prozentpunkte angehoben, um die Teuerung einzudämmen. Kann die Europäische Zentralbank (EZB) solch große Zinsschritte wagen? Und wie lange dauert es eigentlich, bis Zinserhöhungen wirken?

Martin Lück: Die EZB wird vermutlich derart massive Zinsschritte nicht wagen, und das ist auch gut so. Generell kann eine Zentralbank angesichts einer angebotsseitigen, etwa von den Energiepreisen herrührenden Inflation, wenig tun. Sie kann allenfalls die gesamtwirtschaftliche Nachfrage soweit dämpfen, dass sie zum knappen Angebot passt. Und ich gehe davon aus, dass die EZB dazu bereit ist, zumal sie mit der Abschmelzung ihrer Bilanz ein zweites Instrument hat, um die Wirtschaft abzukühlen. Ein im Vergleich zur Fed nicht ganz so kerniges Anziehen der geldpolitischen Zügel ist zudem schon deshalb ratsam, weil die Wirkungsverzögerungen geldpolitischer Maßnahmen sehr lang sind und die EZB damit das Risiko eingehen würde, eventuell in eine tiefe Rezession zu bremsen.

In einer solchen Welt ist es auch wahrscheinlich, dass Wachstum und Inflation stärker schwanken.

Mit dem Ende der Niedrigzinsphase und sukzessive steigenden Leitzinsen verändert sich auch das Umfeld für verschiedene Anlagen. Welche Assetklassen werden nun mittel- und langfristig attraktiver?

Martin Lück: Generell ist die Wahrscheinlichkeit gewachsen, dass die Schwankungen von Assetpreisen, die wir derzeit erleben, eine neue Realität widerspiegeln. Eine Realität nämlich, in der Angebotsschocks die Wirtschaft dominieren, wie zuletzt durch unterbrochene Lieferketten, Russlands Überfall auf die Ukraine, Veränderungen in der Globalisierung etc. In einer solchen Welt ist es auch wahrscheinlich, dass Wachstum und Inflation stärker schwanken. Zentralbanken und Regierungen haben weniger Mittel, glättend einzugreifen. Was Anleger also vor allem tun sollten, ist eine häufigere Überprüfung ihrer Portfolios vorzunehmen und gegebenenfalls die Zusammensetzung zu verändern. Darüber hinaus könnte die Streuung über verschiedene Assetklassen breiter ausfallen. Bestanden Portfolios von Privatanlegern bisher zum größeren Teil aus Aktien und Anleihen, so dürfte zukünftig mindestens ein Drittel aus einem Mix anderer Anlageklassen bestehen.

Herr Dr. Lück, danke für das Interview.

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Igor Hirsch
Financial Editor
Igor ist Redakteur mit den Themenschwerpunkten Geldanlage und Börse. Er arbeitete zuvor als Redakteur bei Finanzen100 und dem Branchendienst für Vermögensverwalter Citywire. Davor war er als selbständiger Finanzberater (§ 34d und § 34f) tätig. Er ist Diplom-Kulturwissenschaftler mit dem Hauptfach Wirtschafts- und Sozialgeschichte und studierte an der Universität des Saarlandes.