José Pizarro: „Ich liebe das Adrenalin!”

21. September 2018  |  Tobias Aigner
„Ich liebe das Adrenalin!‟
Der Stargastronom José Pizarro hat die spanische Küche in London populär gemacht.
Ein Gespräch über Erfolg, Geld und den Knochenjob als Koch.

Als José Pizarro in der 70er Jahren in einem Dorf in der spanischen Extremadura aufwuchs, deutete nichts darauf hin, dass aus ihm ein bedeutender Koch wird. Im Gegenteil: In der Küche hatte er nichts zu suchen. Dort regierte seine Mutter, für die Kochen Frauensache war. Aber Pizarro ließ sich nicht beirren. Nach einer Ausbildung zum Zahntechniker begann er einen Kochlehrgang – mit so viel Leidenschaft, dass er seinen erlernten Beruf an den Nagel hängte und seiner Berufung folgte. Die brachte ihn in die Sterneküchen von Madrid und später nach London, wo er in den vergangenen Jahren eine Tapas-Bar und zwei Restaurants eröffnete. Seine kreative spanische Küche ist heute über die Stadt hinaus bekannt. Wir haben den Ausnahmekoch getroffen. Im Gespräch erzählt er, wie Fuchs schmeckt, wann er einen Adrenalinschub bekommt und was er mit seinem Geld macht.

José Pizarro

Herr Pizarro, als Küchenchef arbeiten Sie mit den besten Zutaten. Dabei muss man viel probieren. Was war das Seltsamste, das Sie je gegessen haben?

José Pizarro: Ich habe schon viele komische Sachen gegessen: Hunde, Schnecken, Heuschrecken, Skorpione. Und sogar Fuchs.

Fuchs?

Ja, für Sie hört sich das wahrscheinlich komisch an. Aber in dem Dorf in Spanien, wo ich aufgewachsen bin, war das früher ganz normal. In den 40er und 50er Jahren hat man dort oft Fuchs, Katze oder Hund gegessen. Nahrung war in dieser Gegend damals sehr knapp. Die Leute haben alles gegessen, was sie bekommen konnten. Ein Freund hat den Fuchs für mich zubereitet, nach alter Tradition.

Und wie hat er geschmeckt?

Etwas kräftiger als Kaninchen. Nicht schlecht, ich würde wieder Fuchs essen. Hund nicht. Das war ein komisches Gefühl.

Wo genau sind Sie aufgewachsen?

In Talaván, einem kleinem Dorf in der Extremadura. Meine Eltern hatten dort einen Bauernhof. Ich war ein glücklicher Junge – ein kleiner Schlingel, der sich immer Streiche ausgedacht hat. Es gab ja keine Playstation, kein iPhone, nichts dergleichen.

Haben Sie als Kind schon davon geträumt, Koch zu werden?

Nein. Ich habe unser Essen aus den frischen guten Zutaten geliebt. Das Frühstück mit dem frisch gerösteten Brot zum Beispiel. Das war herrlich. Aber ich dachte nie, dass ich Koch werde.

Sie mussten doch sicher in der Küche helfen.

Das durfte ich nicht. Meine Mutter hat mich immer aus der Küche rausgeworfen. Auch meinen Vater. Kochen war Frauensache. Die Männer mussten sich um den Hof kümmern. Mein Vater wusste nicht mal, wie man ein Ei brät.

Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen für Ihre Karriere?

Wir hatten nicht viel Geld, haben nie im Überfluss gelebt. Auf dem Hof habe ich gesehen, wie viel Arbeit es macht, gute Lebensmittel herzustellen – eine Tomate aus unserem Garten oder ein Ei von unseren Hühnern. Dieses Bewusstsein war die Grundlage meiner späteren Arbeit.

Wann war Ihnen klar, dass Sie Koch werden wollen?

Als ich in die Stadt gezogen bin. Ich habe eine Ausbildung zum Zahntechniker gemacht. Aber ich habe nicht gleich eine Stelle gefunden, ich musste drei Monate warten. Ich kann aber nicht untätig sein, also habe ich in Cáceres einen Kochkurs gemacht. Und ich habe es sofort geliebt. Ich war 23 Jahre und mir war klar: Ich würde nie mehr an irgendwelchen Zähnen herumfeilen. Als ich gelernt habe zu kochen, lebten plötzlich all die wunderbaren Erinnerungen an meine Kindheit wieder auf: die Zutaten, die Aromen, die Gerüche. Das hat mir geholfen, schneller zu lernen.

José Pizarro ist in der Extremadura in Spanien aufgewachsen, lebt seit mehr als 18 Jahren in London und gilt als „Großmeister der spanischen Küche“ Großbritanniens. Er hat in den besten spanischen Restaurants von London gearbeitet, darunter Eyre Brothers, Brindisa und Gaudi. 2011 eröffnete er sein erstes eigenes Lokal, die José Tapas Bar, in der Bermondsey Street. Zwei weitere Restaurants folgten: Pizarro, nur ein paar Meter entfernt, und José Pizarro am Broadgate Circle.

Bekannt ist der Szenekoch auch durch seine TV-Auftritte in britischen Kochsendungen. 2014 wurde er zudem in die Gruppe der „100 Españoles“ aufgenommen – ein angesehener Kreis von 100 Spaniern, darunter Ärzte, Forscher, Unternehmer, Journalisten und Künstler, die ihr Heimatland in der ganzen Welt vertreten. Im vergangenen Jahr hat Pizarro das Buch „Baskisch“ veröffentlicht – eine kulinarische Reise durch das Baskenland mit Rezepten aus San Sebastián, Bilbao und Umgebung.

Anfangs haben Sie in Cáceres in einer Rotisserie gearbeitet. Wie hoch war Ihr erstes Monatsgehalt?

110.000 Pesetas. Das sind umgerechnet etwa 600 Euro.

Danach haben sie es ziemlich schnell in die Sterneküchen von Madrid geschafft. Wie kam es dazu?

Ich habe an einem Treffen von Köchen in Salamanca teilgenommen. Dort habe ich Julio Reoyo getroffen, den damaligen Chef des Madrider Sternerestaurants El Chapín de la Reina. Er hat mir angeboten, zu ihm zu kommen. Das habe ich für ein, zwei Jahre gemacht. Ich habe vorher sehr traditionell gekocht. Julio hat mir die kreative Küche gezeigt. Er war mein Mentor. Durch ihn habe ich einen anderen Koch- und Lebensstil kennengelernt. Ich war ja vorher nicht in vielen tollen Restaurants gewesen. Ich musste Geld sparen, um überhaupt in ein Restaurant gehen zu können. Madrid war toll für mich – eine Welt, die ich nicht kannte.

Trotzdem haben Sie diese Welt wieder verlassen. 1998 sind Sie nach London gezogen.

Ja. Als ich vor mehr als 19 Jahren in Madrid war, gab es keine richtig gute internationale Gastronomie dort. Keine guten chinesischen Restaurants oder Japaner, fast nur spanische Küche. Ich wollte aber wissen, was in den Küchen der Welt los ist. Eine Freundin, die schon in London lebte, sagte: Warum kommst du nicht her? Einen Monat später war ich da, obwohl ich nie zuvor in London gewesen war. Als ich ankam, habe ich es sofort geliebt: Hier gab es die kulinarische Vielfalt, die ich suchte. Das Problem war nur: Ich habe kein Wort Englisch gesprochen. Also musste ich wieder in einem spanischen Restaurant anfangen.

2011 haben Sie dann Ihre erste eigene Tapas-Bar in London eröffnet. Später kamen noch zwei Restaurants dazu. Sie sind vom Küchenchef zum Geschäftsmann geworden. Warum?

Ich denke, jeder träumt davon, seine eigene Idee umzusetzen. Und es macht mir Spaß, Geschäftsmann zu sein. Da wird jede Menge Adrenalin ausgeschüttet. Das liebe ich.

Wann stehen Sie besonders unter Adrenalin? Wenn Ihr Restaurant rappelvoll ist, oder wenn etwas schiefläuft?

Wenn ich erfolgreich bin. Jeder liebt Erfolg.

Weil mit dem Erfolg auch das Geld kommt...

Geld ist auch wichtig. Es motiviert. Wer das leugnet, lügt. Aber es geht vor allem um eines: Wie kannst du, wenn du zu Geld kommst, die Menschen damit glücklicher machen? Ich will nicht eine Million Pfund zum Einkaufen haben. Ich will mit meinem Geld anderen Menschen Freude bereiten. Also habe ich es in meine Restaurants gesteckt.

Es macht Ihnen wirklich keinen Spaß, Geld auszugeben?

Ich reise gern. Uhren und Kunst mag ich auch sehr. Aber große Shoppingtouren sind nichts für mich.

Gibt es etwas, das Sie kaufen würden, wenn Geld keine Rolle spielen würde?

Wahrscheinlich einen Picasso. Seine Bilder sind wundervoll.

The restaurant at Pizarro

Mussten Sie sich eigentlich verschulden, um Ihre Restaurants eröffnen zu können?

Bevor ich meine erste Tapas-Bar aufgemacht habe, habe ich acht Jahre die Küche im Brindisa geleitet. Hier war Monika Linton meine Geschäftspartnerin. Bevor ich im Brindisa angefangen habe, ging ich zu Barclays und nahm einen Kredit über 10.000 Pfund auf. Damit habe ich die Anteile an Lintons Unternehmen gekauft. Und diese Anteile habe ich mit Gewinn verkauft, als ich ausgestiegen bin. Heute finanziere ich alles selbst – meine Restaurants gehören zu 100 Prozent mir.

Und wenn es schiefgeht? Wenn Ihre Restaurants plötzlich nicht mehr „in“ sind? Beunruhigt Sie der Gedanke?

Manchmal ja. Aber dass alles mir gehört, gibt mir auch Sicherheit. Wer sein eigenes Geschäft betreibt, muss sich auch selbst mehr vertrauen.

Würden Sie sagen, dass Sie hart arbeiten?

Sehr hart sogar. Aber ich liebe, was ich mache, deshalb wirkt es nicht so hart. Ich bin sehr fokussiert. Wenn ich mir ein Ziel gesetzt habe, mache ich einen Zeitplan und sage: In drei Jahren will ich das erreicht haben. Und ich gebe nicht auf. Genau so war es bei meinem ersten Restaurant. Genau drei Jahre habe ich gebraucht. Ich hätte ein Jahr später ein weiteres Restaurant eröffnen können. Aber ich fühlte, dass ich noch nicht so weit war. Also habe ich gewartet, bis ich 2015 das zweite Restaurant aufgemacht habe.

Sie sind jemand, der von sich behauptet, nie wirklich gescheitert zu sein. Denken Sie, der Erfolg kommt automatisch, wenn man seiner Leidenschaft folgt und hart arbeitet?

Nein. Es gibt viele Menschen, die arbeiten auch hart und haben keinen Erfolg. Ich habe auch sehr viel Glück. Trotzdem: Alles was ich habe, hätte ich nicht, wenn ich so hart arbeiten würde.

Jetzt haben Sie eine Tapas-Bar und zwei Restaurants. Schon eine Idee, was Sie als nächstes machen?

Ich will in Spanien ein Hotel eröffnen. Nichts Großes. Keine 500 Zimmer, eher zehn. Ein Ort zum Wohlfühlen, mit Kunst, Weinkursen und gutem Essen. Das ist mein wichtigstes Ziel für die nächsten vier Jahre. Dann bin ich 50.

Wie schaffen Sie es, neben Ihren langen Arbeitstagen hier in London noch ein Hotel aufzubauen?

Alles hängt vom Team ab. Wenn du ein Restaurant oder ein Hotel eröffnen willst, dann ist es das Schwierigste, das Team zusammenzubekommen. Diese Menschen müssen viel Leidenschaft mitbringen. Ich kann einem Koch beibringen, besser zu kochen. Aber Leidenschaft kann ich ihm nicht beibringen.

Wie schnell merken Sie bei einem neuen Koch, ob er die nötige Leidenschaft hat?

Gleich am ersten Tag. Aber ohne Leidenschaft hält man diesen harten Job sowieso nicht durch. Kochen ist ein Knochenjob – physisch und mental: die vielen Arbeitsstunden, die Hitze, der Schweiß, die Füße schwellen an, man bekommt keinen Schlaf.

Dafür ist das Gehalt wahrscheinlich eher bescheiden.

Ein Chefkoch in einem guten Restaurant bekommt vielleicht 75.000 Pfund, ein normaler Koch 25.000 bis 30.000 Pfund. Das ist nicht schlecht.

Muss jemand, der ein Spitzenkoch werden will, heute nicht vor allem ein guter Entertainer sein, der im Fernsehen auftritt und Bücher schreibt?

Nein. Ein Küchenchef oder Restaurantbesitzer sollte vor allem ein guter Gastgeber sein. Mein Restaurant ist wie mein Zuhause. Ich will meinen Gästen etwas Besonderes geben, wenn sie kommen. Es ist nicht einfach, jeden Tag zu lächeln. Aber wenn die Gäste sehen, dass die Mitarbeiter ihre Arbeit lieben, dass sie glücklich sind, dann ist das ansteckend. Das ist das Schönste, was es gibt, und der Schlüssel zum Erfolg. Im Fernsehen aufzutreten ist nicht wichtig.

Was sind die Top 3 Restaurants, in denen man mindestens einmal im Leben gegessen haben muss?

Arzak San Sebastian (San Sebastián)
Atrio Cáceres (Cáceres)
D´Berto O Grove Galicia (Pontevedra)

Aber Sie treten auch im Fernsehen auf. Warum?

Weil dadurch mehr Gäste kommen und mehr von meinen Büchern verkauft werden. Wenn ich ein Buch schreibe und nicht die Werbetrommel rühre, verkaufe ich nur 50 Exemplare. In der Regel verkaufen sich meine Bücher gut, aber wenn man im Fernsehen ist, steigen die Verkaufszahlen rasant an. Trotzdem funktioniert die Werbung nur, wenn man mit Leidenschaft Koch ist.

Sie verdienen Ihr Geld als Restaurantbesitzer, als Buchautor und mit TV-Auftritten. Legen Sie einen Teil davon zurück – für schlechte Zeiten oder einfach fürs Alter?

Ja. Ich spare für später und für den Notfall. Wenn die Restaurants mal einen Monat schlecht laufen, muss ich trotzdem viele Gehälter bezahlen. Das Geld muss ich immer vorhalten.

Indem Sie jeden Monat einen bestimmten Betrag sparen...

Ja, einen Teil fürs Geschäft, einen Teil für mich selbst. Einen Teil lasse ich bar liegen, den anderen investiere ich, zum Beispiel in Aktien. Dabei lasse ich mich aber beraten.

Und wenn Sie 70 sind, dann leben Sie von Ihren Investments. Stellen Sie sich so Ihren Ruhestand vor?

Wenn ich 70 bin, werde ich definitiv nicht mehr 16 Stunden am Tag arbeiten. Aber ein bisschen arbeiten muss ich. Nichts tun kann ich nicht. Vielleicht schreibe ich dann. Hoffentlich in meinem Hotel in Spanien, mit einem guten Glas Wein, mit gutem Ibérico-Schinken. Es bringt ja nichts, das ganze Geld nur auf der Bank zu haben. Man muss das Leben auch genießen.

Dieses Interview ist Teil unserer Serie „Money Memories“ – Gespräche über Lebenswege, Erfolge, Pleiten sowie den Umgang mit Geld und Vermögen.

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Tobias Aigner
Tobias Aigner
EDITOR IN CHIEF (Ehemals)
Tobias ist Finanz- und Wirtschaftsjournalist mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung. Zuletzt arbeitete er als leitender Redakteur für das Wirtschaftsmagazin €uro. Zuvor war er für Capital, Börse Online, die Financial Times Deutschland und die Süddeutsche Zeitung tätig. In seinen Kommentaren, Analysen und Features setzte er sich vor allem mit den Themen Börse, Risikomanagement und regelbasierte Anlagemodelle auseinander. Tobias hat Physik an der TU München studiert.