Wird in Deutschland über das Gründen gesprochen, kommt schlechte Laune auf. Immer wieder heißt es: Wir verlieren den Anschluss, haben kein einziges Unternehmen in den weltweiten Top 30, alles nur Amerikaner und Chinesen. Wir haben unseren Tüftlergeist verloren, sind Spezialisten nur noch des Verwaltens, nicht mehr des Schaffens.
Vor allem aber fehle das Geld. Das investierte Risikokapital sei mickrig im Vergleich zu den USA, China und sogar Frankreich. Große Finanzierungen jenseits der 50 und 100 Millionen Euro könne man hier einfach nicht stemmen. Am Geld liegt es nicht. Damit keine Missverständnisse aufkommen – viel Geld und eine entwickelte Venture-Capital-Szene sind unabdingbar, um neue, große Unternehmen aufzubauen.
Erfolgreiche deutsche Venture-Capital-Investoren sperren ihre Fonds bei ein paar Hundert Millionen Euro zu, obwohl deren Großinvestoren mehr investieren möchten.
Aber Ursache und Wirkung werden hier oft verkehrt. Kaum etwas ist so liquide wie Kapital, das Gewinnchancen wittert. Es ist sehr schnell da, wenn der Dreiklang aus Idee, Team und Markt stimmt. Das zeigt sich etwa bei den großen Finanzierungsrunden von Flixbus, N26, Auto1 und Getyourguide. Nur ist das investierte Geld kein deutsches, sondern amerikanisches, chinesisches oder japanisches.
Dass oft nicht die Geldmenge das Problem ist, zeigt das Verhalten der heimischen Profianleger selbst. Erfolgreiche deutsche Venture-Capital-Investoren sperren ihre Fonds bei ein paar Hundert Millionen Euro zu, obwohl deren Großinvestoren mehr investieren möchten. Schließlich können die Venture-Capital-Fonds hierzulande gar nicht genügend große Summen in gute Start-ups stecken. Und wenn sie dafür mehr Cash halten oder in weniger aussichtsreiche Firmen investieren, dann würde das ihre Rendite belasten.
Es reicht also nicht, nur die Schatulle zu öffnen. Es krankt am Ökosystem und an der Einstellung. Wir brauchen weniger Bürokratie und dafür ein gründerfreundlicheres Klima. Wir brauchen mehr Zuzug von internationalen Fachkräften, steuerlich reizvolle Beteiligungsmöglichkeiten für Mitarbeiter, mehr Gründungen durch Techies statt durch BWLer, ein entschärftes Insolvenzrecht und zuvorderst: einen homogenen europäischen Markt.
Google und Facebook und das Internet selbst sind nicht als Business-Ideen gestartet. Ihre Gründer hatten Interesse an der Technologie oder einfach nur Spaß an der Sache.
In Europa muss eine Firma für ähnlich viele Kunden mehr als 20 Länder betreten – jedes davon mit einem anderen regulatorischen Umfeld, anderen Steuergesetzen, einer anderen Sprache und Kultur. Dass europäische Start-ups vor diesem Hintergrund langsamer wachsen, versteht sich von selbst. Um im Wettlauf mit den USA und China zu bestehen, brauchen wir europaweit wirklich einheitliche Gesetze, Regulierungen und Vorschriften.
Bezogen auf die digitale Geldanlage wäre das zum Beispiel eine einheitliche Besteuerung von Kapitalerträgen. Außerdem gilt: Wir gründen nicht nur zu wenig, sondern auch zu deutsch. Wir gehen die Sache wissenschaftlich an und bereiten sauber berechnete Businesspläne vor, mit stimmigen Unit-Economics, erklärbaren Geschäftsmodellen und aufsteigenden Charts. Daraus kann auch etwas Großes werden, aber selten etwas Gigantisches – denn dazu ist es zu offensichtlich und berechenbar.
Weltverändernde Dinge starten jedoch oft nicht als durchgeplante Geschäftsmodelle, sondern fast zufällig. Google und Facebook und das Internet selbst sind nicht als Business-Ideen gestartet. Ihre Gründer hatten Interesse an der Technologie oder einfach nur Spaß an der Sache.
In Deutschland werden kaum Ideen außerhalb der Norm finanziert.
Für Mark Zuckerberg war Facebook lange nur ein Nebenprojekt. Larry Page und Sergey Brin boten Yahoo und Excite den Google-Algorithmus für ein Handgeld zum Kauf an, doch alle lehnten ab. Das Internet war ein akademisches Projekt. Aber genau diese ursprüngliche Unbestimmtheit und Zufälligkeit hat diesen Technologien einen einzigartigen Erfolg beschert.
In Deutschland werden kaum Ideen außerhalb der Norm finanziert. Die private Wohnung als Hotelzimmer vermieten? Ins Auto von Wildfremden steigen, um ins Kino zu kommen? Ein privates Raumfahrtunternehmen? So etwas hätte in Deutschland niemals Geld bekommen. Dieses Umfeld muss sich ändern. Gründer und Investoren müssen bereit sein, sich unkonventionellen Ideen zu öffnen, die einen stark binären Ausgang haben und sich anfänglich auf Nischen konzentrieren statt auf große und bekannte Märkte. „Mehr tüfteln als planen“ lautet das Motto.
Der Artikel erschien als Gastbeitrag im Handelsblatt vom 9. Dezember 2019.
Bild: SpaceX, unsplash.com
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