Wirtschaftswoche: Anlagemix per Algorithmus

WirtschaftsWoche print: NR. 13 vom 24.03.2016 Seite 72 / Geld

Die britische Finanzaufsicht fördert massiv Robo-Advisors. In Deutschland drängen die computergestützten Anlageberater auch so auf den Markt.

Nutmeg ist so, wie sich Anleger einen Berater wünschen: emotionslos, zielgerichtet und an den Wünschen des Kunden orientiert. Er hilft derzeit Lucy und Tom Watkins. Das Ehepaar, beide Mitte 30, hatte sich kürzlich an einen Finanzexperten ihrer Bank gewandt, um über ihre private Altersversorgung zu sprechen. Doch der Vermögensberater servierte sie kurzerhand ab. „Weil unser Vermögen nicht groß genug war, sagte der Berater, er wolle weder seine noch unsere Zeit verschwenden“, so Tom Watkins. Jetzt verwaltet Nutmeg die 500 Pfund Sterling, die der Rechtsanwalt und seine Frau regelmäßig monatlich anlegen wollen – umgerechnet immerhin 7700 Euro im Jahr.

Nutmeg ist ein sogenannter Robo-Advisor, ein automatisierter Anlageberater. Hinter ihm steht ein Algorithmus, der Anlegern – ausgehend von deren Risikoneigung – verschiedene standardisierte Portfolios vorschlägt, in die sie ihr Geld investieren können. Das Computerprogramm setzt meist auf Strategien, die sich über Indexfonds und börsengehandelte Investmentfonds (ETFs) umsetzen lassen. Diese Produkte bilden eine Vielzahl von Aktien oder Anleihen ab – Ländermärkte, einzelne Währungsräume oder auch globale Märkte. Die Fondstypen sind dabei besonders günstig: Je nach Anlagesumme berechnet Nutmeg nur zwischen 0,30 und 0,95 Prozent verwalteten Vermögens als Gebühren. Ein traditioneller Vermögensverwalter verlangt meist 1,0 bis 3,0 Prozent.

Leibhaftige Menschen als Finanzberater aber sind für viele Sparer in Großbritannien nicht mehr attraktiv. Denn seit gut drei Jahren ist ein weitreichendes Provisionsverbot in Kraft – Anleger müssen Berater seither direkt bezahlen. Viele Investoren mit kleinen Depots sind jedoch nicht bereit, ein Stundenhonorar von durchschnittlich 150 Pfund zu zahlen.

PLATZHIRSCHE UNTER DRUCK

Sie finden dann keine Ansprechpartner mehr, haben aber großen Beratungsbedarf. Denn seit April 2015 muss jeder Brite, der das 56. Lebensjahr erreicht, nicht mehr bis zur Rente warten, um über seine Ansprüche aus privaten Pensionstöpfen zu verfügen. Die Briten dürfen seither vorzeitig an ihr Geld heran. Viele wollen das dort angesammelte Kapital nun selbst anlegen.

Robo-Anbieter sehen deshalb großes Potenzial in Großbritannien. Die britische Finanzaufsicht FCA hat sich auf die Fahne geschrieben, die Start-ups optimal zu fördern. Und für das Finanzministerium ist klar: „Wir wollen das führende Fintech-Zentrum der Welt werden.“ Die FCA plant unter anderem in diesem Frühjahr die Einführung eines sogenannten „Sandkastens“, der jungen Robo-Beratern die Möglichkeit geben soll, ohne große Regulierung Lösungen auszuprobieren. Bisher mussten neue Anbieter oft so viele Bestimmungen erfüllen, dass ihr Produkt es erst gar nicht an den Markt schaffte.

Auch in Deutschland experimentieren Großbanken mit automatisierter Anlageberatung. Die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken Union Investment zum Beispiel bietet mit Visualvest einen Robo-Advisor. Die Platzhirsche angreifen wollen junge Fintechs wie Vaamo oder Scalable Capital. Scalable hat sich dabei gleich eine Lizenz als Vermögensverwalter für beide Märkte – den deutschen und britischen – gesichert. Ein Standortvorteil per se ist Großbritannien nicht: Die deutsche Finanzaufsicht BaFin habe die Genehmigung schneller ausgestellt als die britische, sagt Scalable-Co-Gründer Erik Podzuweit. Im April geht es auf der Insel los, drei Monate nach dem Start in Deutschland, der erfolgreich ist: 500 Depots zählt das junge Unternehmen bereits. „Wir versuchen in England und Deutschland die gleichen Kunden anzusprechen“, sagt Podzuweit. „Sie haben schon Erfahrung und wissen, was ein ETF oder ein Indexfonds ist.“
Bis zu 40 Start-ups, die schon 100 Millionen Euro verwalten, tummeln sich laut der Strategieberatung Oliver Wyman in Deutschland bereits im Segment der Robo-Advisor. Bis 2020 könnte das verwaltete Vermögen auf 30 Milliarden Euro steigen, weltweit sogar auf gut 440 Milliarden Euro, schätzt die Beratungsgesellschaft (siehe Grafik).

Mit seiner Lizenz als Vermögensverwalter darf Scalable Kundengelder entgegennehmen und diese investieren, ohne vor jedem Investment den Kunden zu fragen. Die Plattform muss sich also von der ersten Investition an um die Anlagen kümmern. Ansonsten dürfen das in Deutschland nur die rund 600 Vermögensverwalter und natürlich Banken mit voller Lizenz. „Die Kunden suchen einen Partner, der ihnen die Geldanlage abnimmt“, sagt Podzuweit. „Aber sie wollen jederzeit verfolgen können, was mit ihrem Geld passiert.“
Konkurrenzanbieter wie Ginmon verfolgen eine andere Strategie, sie nehmen das Geld nicht selbst entgegen. „Wir ersetzen für Kunden den Beratungsaufwand bei der Geldanlage, ohne ihm die Kontrolle über sein Geld zu nehmen“, sagt Ginmon-Gründer Lars Reiner. Entgegen einem vermögensverwaltenden Robo-Advisor stellen Vermittler und Berater wie Ginmon lediglich ihre Algorithmen bereit, um Kunden Vorschläge zu geben, die auf vorher definierten Regeln basieren. Die Kunden erhalten keine personalisierte Beratung und müssen die Kaufentscheidung am Ende selbst treffen. Solche Robo-Berater verzichten bewusst auf eine eigene Lizenz der BaFin. Das Kundenkonto führen nicht sie, sondern eine Partnerbank (siehe Tabelle).

In beiden Fällen – bei dem auch vermögensverwaltenden und dem nur beratenden Robo-Advisor – benötigen Anleger Vertrauen in die Technik, in die Algorithmen also. Diese „bergen die Gefahr, Zusammenhänge zu sehen, wo keine sind“, meint Georg Graf von Wallwitz, Fondsmanager des Münchner Vermögensverwalters Phaidros Funds. Auch nach „20 Jahren Suche“ hat Billy Burrows von der britischen Pensionsberatung William Burrows Annuities keinen passenden Algorithmus gefunden, der menschliche Intervention überflüssig mache. „Ich glaube auch nicht, dass das möglich ist“, so Burrows. In den USA gibt es deshalb sogar Robo-Berater plus Callcenter. Dort sitzen Menschen, die bei taumelnden Kursen die Nerven ihrer Anleger beruhigen sollen.

ANGEBOTE NOCH IN DEN KINDERSCHUHEN

Noch stecken viele der Robo-Angebote in den Kinderschuhen. „In ein paar Jahren werden wir technisch 90 Prozent davon abdecken, was ein guter menschlicher Berater heute kann. Im Moment liegt unser Algorithmus vielleicht gerade erst bei 15 Prozent“, so Ginmon-Chef Reiner. Eine umfassende Beratung, die auch steuerliche Aspekte oder Nachlassfragen einschließt, gibt es bisher beispielsweise aber noch überhaupt nicht. „Wer die digitalen Berater in Anspruch nimmt, muss sich darüber im Klaren sein, dass er damit einem Patienten ähnelt, der sich in der Apotheke Rat holt, statt seinen Hausarzt aufzusuchen“, sagt Ian McKenna, Direktor des Finance & Technology Research Centre in London. In Deutschland will das ein Anbieter ändern und geht jetzt Vermögende an. Liqid hat nicht nur kampferprobte Risikokapitalgeber wie Springer oder die Otto-Gruppe, sondern die Branchengrößen der alten Bankenwelt hinter sich. Liqid arbeitet mit dem Investment-Know-how der Vermögensverwaltung der Familie Harald Quandt.

Liqid will ab Juni ins Geschäft mit der Geldanlage für Betuchtere einsteigen: Ab 100 000 Euro sind Kunden bei den Berlinern dabei, die dafür deren Risikoneigung mittels eines mit den Universitäten Zürich und St. Gallen entwickelten Frage-Algorithmus ermitteln. Wie die anderen Anbieter auch, bieten sie Depots auf Basis börsengehandelter Fonds an, die sich automatisch an das vorgegebene Risikoprofil des Kunden anpassen: Sind etwa Aktien zu stark gestiegen, wird ihr Anteil reduziert.

Interessant wird das Liqid-Modell ab 250 000 Euro; dann mischen die Berliner bis zu 30 Bauteile aus sieben Anlageklassen: ETFs auf Aktien, Anleihen, Industrierohstoffe, Gold, Hedgefonds, Derivate und aktiv gemanagte Fonds. Das kostet: 0,9 Prozent des Depotwertes pro anno als Bestandsprovision plus rund 0,8 Prozent an Produktgebühren; wer Liqid 500 000 Euro anvertraut, zahlt im Jahr etwa 8500 Euro Gebühren – etwas weniger als bei einer klassischen Privatbank, aber kein Billigangebot mehr.

Dennoch würden „in den nächsten Jahren weltweit 80 bis 100 neue Player wie Liqid und Scalable an den Start gehen“, sagt Michael Mellinghoff, Director von Techfluence in London, einem Brutkasten für Fintechs. Die Banken verdienen wegen der Nullzinsen kaum noch Geld außerhalb der Vermögensverwaltung. „Robo-Advisor versprechen Wachstum, vor allem mit solventeren Kunden“, so Mellinghoff.
Nutmeg-Gründer Nick Hungerford ist die Solvenz erst einmal egal, er zielt sogar auf nicht geschäftsfähige Kunden ab: „In zehn Jahren kann man sich vorstellen, dass wir etwa durch Twitter erfahren, dass jemand im Freundeskreis des Kunden schwanger ist. Dem künftigen Taufpaten schlagen wir dann ein Fondsprodukt für das Baby vor.“ Statt wie früher zwei Banksparbücher haben Neugeborene dann zwei Fonds, die der Algorithmus im besten Falle bis ans Lebensende steuert.

Sebastian Kirsch/ Yvonne Esterhazy/ Stefan Hajek

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